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Leicht wie Papier, dünn wie Porzellan und zerbrechlich wie Glas
Petra Oxana Lutnyk
Ein Besucher in meiner Werkstatt hat es provokativ
auf den Punkt gebracht: "Deine Arbeit gewährt dem Betrachter
zu einfach Zugang. Sie stellt keine Aufgabe an ihn." - Diese
Aussage erscheint mir sehr interessant. Längere Aufenthalte
in lateinamerikanischen Kulturen und einige Reisen nach Asien haben
mich mit unterschiedlichen Annäherungsweisen an Kunst konfrontiert.
Dieser Satz erscheint mir typisch für den westlich geprägten
Zugang zu Kunst und Kultur.
Stimmt es, dass der gebildete Mitteleuropäer
eine Aufgabe braucht, bevor er genießen kann, oder soll er
Kunst nicht genießen, sondern sich läutern und Erkenntnisse
gewinnen? - Genuss ist uns Europäern nicht unbekannt, dennoch
werden im Westen wesentlich stärker Analyse und Konzept gefordert.
Auf diese Forderung beziehen sich meine Hirnschalen:
Sie sind von der Evolution geformte, fragile Behältnisse des
Geistes, die Leere und Fülle gleichermaßen schützend
verbergen. Meine Hirnschalen, als Bindeglieder zwischen Hirn und
Hand, füllt die Leere, während sie Bilder besorgniserregender
Brüchigkeit in sich tragen. (Bild)
Meine Schalen haben immer wieder Menschen angezogen,
die dem östlichen Kulturkreis nahestanden. Sie entsprechen
möglicherweise dessen Wertschätzung des Einfachen und
Unspektakulären. Vielleicht teilen sie auch die östliche
Vorliebe für die Intuition als Zugangsform zu Kunst, sowie
die Sehnsucht, etwas Transzendentes auszudrücken.
Ein erster Blick auf meine Arbeiten zeigt Schalen
in Handgröße aus einem nicht näher zu definierendem
Material. Sie sind glatt, warm, glänzend, mit einer Zeichnung,
die an Gewachsenes (Marmor, Muschel) erinnert und gleichzeitig etwas
Komponiertes, Bildhaftes spüren lässt - ohne erkennbaren
Pinselstrich und ohne nachvollziehbare Geste. Ich suche nach Ausdruck
in den Linien ebenso wie das scheinbar Durchscheinende in dem an
sich erdigen Material. Oft erinnert die Komposition an etwas Landschaftliches
(Bild)
oder sie betont nur den Rand als Grenze zwischen Innen und Außen
(Bild).
Ein Thema ist das Verschwinden der Zeichnung, die sich unter die
Oberfläche zurückzieht. (Bild)
Es sind gedrehte und polierte Keramikgefäße,
mit Farben und Zeichnungen aus dem niederen Salzbrand. Seit 10 Jahren
experimentiere ich mit dieser Brenntechnik. Die Ergebnisse aus dem
Zusammenspiel von Absicht, Zufall und Wahrscheinlichkeit zeigen
im Idealfall Arbeiten, die im gleichen Ausmaß komponiert wie
selbstverständlich wirken. (Bild)
Aber warum poliert jemand im 21. Jh. hauchdünne
Gefäße und brennt sie in einem nicht rationalisierbaren
und unsicheren Verfahren, das keine Wiederholung und keine Serien
erlaubt?
Nach meiner Ausbildung an der Hochschule für Angewandte Kunst
in Wien bei Peter Weibel (Medienkünstler und Theoretiker, Kurator,
Rockmusiker...) hatte ich erkannt, dass der vorrangig theoretisch-konzeptuelle
Zugang zu Kunst zu viele meiner Sehnsüchte unbefriedigt lässt.
Außerdem schien es für mich nicht interessant genug,
allein als Schöpferin eines Werkes verantwortlich zu sein.
Es hatte für mich einen unwiderstehlichen Reiz, das Überraschende,
Unplanbare und Zufällige in meine Arbeit zu integrieren. Mehr
und mehr verwandelte sich Keramik zu meinem Lieblingsmedium.
Bewusst versuchte ich einfache Techniken und Formen zu nützen
um einerseits die Konzentration auf das mir Wesentliche zu erleichtern
und andererseits durch die Eingrenzung der Mittel die Ergebnisse
kalkulierbarer zu machen.
Zurück zum Anfangszitat: Gewähren die
transparent wirkenden Gebilde tatsächlich so einfach Zugang?
Worauf begründet sich diese Neigung zur Zerbrechlichkeit, Sensibilität
und Schönheit?
Zum einen interessiert es mich, das Verhältnis der Menschen
zu den Dingen zu beeinflussen.
Zum anderen glaube ich, dass es heute interessanter ist den Mut
zu Fragilität und Sensibilität aufzubringen als die Sehnsucht
nach Größe und Macht auszudrücken.
Ich versuche Positionen zu finden, die einer interkulturellen Sehnsucht
Raum lassen und sinnliche und intellektuelle Erfahrungen jenseits
der Ost/West und Nord/Süd-Gegensätze ermöglichen.(1)
Zu meinen Schalen findet man auf intime Weise
Zugang. Beobachtet man die Gestik, mit der sich jemand diesen Objekten
nähert, so bemerkt man eine vertrauliche und vertraute Gebärdensprache.
Die Geste erinnert an das Schöpfen von Wasser mit der hohlen
Hand. Eine konzentrierte und bewusste Handlung, die keine Eile zulässt,
denn meine Gebilde tragen mit unbekümmerter Radikalität
das Risiko in sich. Es gibt keine Gewähr für den, der
sie in die Hände nimmt, noch viel weniger für mich, wenn
ich sie schaffe. Routine zerstört sie. Der Tastsinn wird bis
an seine Grenzen herausgefordert. Ihre Funktionalität liegt
in der Berührung.
Das Provokante an meinen Arbeit ist vielleicht
ihre Einfachheit, ihre Sinnlichkeit und ihre scheinbare Absichtslosigkeit.
Für mich ist in diesem Zusammenhang die Idee des Bastlers bei
Levi Strauss (2) sehr anziehend. Für ihn sind Bastler Autodidakten,
die eine große Anzahl verschiedener Aufgaben erfüllen
können. Die Auswahl ihrer Mittel ist begrenzt und mit diesen
müssen sie auskommen. Ich sehe hier eine Parallele zum Künstler
im 21.Jh., der heute ebenso Handwerker, Vermittler, Kritiker, wie
Kurator und Fotograf sein sollte und dadurch immer bis zu einem
gewissen Maß Autodidakt bleiben wird. Der Bastler spricht
durch die Wahl der Mittel und legt dadurch immer etwas von sich
selbst in das Objekt hinein, möglicherweise das, was dem Objekt
Leben schenkt.
Mich interessiert vor allem auch die Frage nach
Funktion und Stellenwert meiner Gefäße für den Käufer.
Es beginnt ein neuer, vielleicht der wichtigere Teil ihrer Geschichte.
Sie werden ein Baustein in der Welt ihrer Besitzer. Eine Wechselwirkung
findet statt. Im gleichen Ausmaß wie sie einen Ort und seine
Atmosphäre mitgestalten, verändert sich auch ihre Wirkung.
Ich dokumentiere die Orte und die Aufgaben, die meine Gefäße
darin erfüllen und erhalte dadurch einige Antworten auf viele
Fragen, die ich mir während dem langwierigen Arbeitsprozess
immer wieder stelle. (Bild)
überarbeitet 2004
(1) Dias und Riedweg in: Dürfen die das? Herausgegeben
von Stella Rollig und Eva Sturm bei Turia, 2002, S.64
(2) Levi Strauss: Das wilde Denken, 1962, S.30
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As light as paper, as delicate as porcelain,
as fragile as glass
Petra Oxana Lutnyk
A visitor in my studio once analysed what irritated him when looking
at my work: "The observer gains access to your work too easily.
It does not challenge him." This remark I found most interesting.
Extended stays in Latin America and some trips to Asia have disclosed
different approaches to art. To me, the previously mentioned statement
characterises the Western state of mind.
Is it true that the sincere, rational European
depends on an intellectual challenge to enjoy, or rather, is he
not meant to enjoy art, but to be reformed and to gain experience
instead? - Pleasure is not unknown to us Europeans, nonetheless
in the West, involvement of intellect, analysis, conception and
presentation are expected and demanded. A series of works from the
year 2000 refers to this expectation, the "brain-containers":
fragile receptacles of spirit, formed by evolution, concealing and
protecting equally void and substance. As links between brain and
hand they are filled by the void, whilst carrying images of alarming
fragility. (picture)
After this more analytic project I mainly focused
my interest on bowls.
A first glance on my work shows hand-sized bowls of indeterminate
material. They seem smooth, warm, gleaming and appear nearly translucent
in light. Their texture resembles organic matter (conch, marble),
but also implies a composed, pictorial element - yet barring an
discernible stroke of the brush or a comprehensible gesture(picture).
I strive for a vivid expression of a line just as for the air of
transparency in the inherently earthen material. Sometimes the composition
reminds of a landscape, sometimes it only defines the rim as border
between inner and outer space (picture).
Recent work is devoted to the fading of the image that on some objects
appears to have withdrawn beneath the surface (picture).
These are simple, thrown and polished vessels,
displaying colours and patterns resulting from low-temperature salt
firing. I have been experimenting with this technique for 10 years.
By balancing chance and probability I try to create objects that
appear equally intentional and natural (picture).
As always, accident and intention are mutually dependent.
But why should one polish gauzy bowls and fire
them in an unpredictable and risky procedure that defies attempts
to replicate and standardise in the 21st century?
My education at the University of Applied Arts in Vienna under the
guidance of Peter Weibel (media artist and theorist, curator,
)
made me realise that the prevailing theoretical-conceptual approach
to art leaves too many of my desires unsatisfied. Moreover, it did
not seem interesting enough to be the only creator of a piece of
art. Integrating the surprising, unpredicted and accidental in my
work was an irresistible stimulus. Gradually pottery grew to be
my favourite medium. I used simple techniques and shapes to help
me focus on what was essential to me, and to make the results more
foreseeable. The slowness of this process seemed luxurious, but
appealing.
Now let me turn back to the initial statement:
Are these objects indeed easy to comprehend? What is the ambition
to fragility, sensitivity and beauty based upon? - I am interested
in influencing the so-called "consumer's" way of looking
at things. Furthermore I believe that a declaration for fragility
and sensitivity is presently more significant than an expression
of the longing for celebrity and power. I try to find positions
which accommodate the desire to bridge cultural attitudes and allow
sensual and intellectual experiences beyond East/West- and North/South-disparities.(1)
My cups require a contemplative approach. Watching
the gestures and body language of a person inspecting and making
himself familiar with these objects reveals confidential and intimate
motions. A gesture like scooping water in the hollow hand. A gentle,
mindful and conscious act that must be done without haste, for my
creations carry their vulnerability without concern. Surety does
not exist for him who picks it up or acquires it, even less for
me when I create it. Routine destroys it. The tactile sense is challenged
to its utmost. Its functionality lies in touching it.
The provocative in my creations perhaps lies in
their ease, their sensuality and their apparent lack of intent.
In this context, Levi-Strauss' concept of the "bricoleur"
(2) is very charming. The French verb, "bricoleur", refers
to the kind of activities that are performed by a handy-man. To
Levi-Strauss, the "bricoleur" is an autodidact who can
manage a wide variety of tasks, which he performs with materials
and tools that are at hand. Likewise, the artist in the 21st century
should be able to perform as craftsman, mediator, critic, curator
and photographer. Accordingly, he will always be an autodidact to
a certain extent. Being a "bricoleur", he communicates
through his choice of means, and by working a part of his self into
the object, he brings it to life.
Petra Oxana Lutnyk, 2003
(1) Dias and Riedweg in: Dürfen die das? Edited
by Stella Rollig and Eva Sturm, Turia, 2002, p.64
(2) Levi Strauss: The Savage Mind, University of Chicago Press,
1966, p.17f
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